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Caso ThyssenKrupp-Vale en Santa Cruz-Río de Janaiero (Brasil)
  Das Stahlwerk und die Fischer
   

Brasilianisches Menschenrechtssekretariat geht davon aus, dass der Werkschutz von ThyssenKrupp in Brasilien aus Milizionären besteht

Seit nunmehr zwei Jahren protestieren lokale Fischer, Bürgerinitiativen und Menschenrechtsgruppen aus Rio gegen das Stahlwerk, das ThyssenKrupp an der Bucht von Sepetiba baut, circa 70 Kilometer westlich des Stadtzentrums von Rio de Janeiro. Die Region ist bekannt als Gebiet, in dem Milizen agieren. Vorwürfen der Fischer zufolge setzt sich der Werkschutz des Stahlkomplexes aus Milizionären zusammen. Den Lateinamerika Nachrichten liegt nun ein Dokument der brasilianischen Bundesregierung vor, das diesen Verdacht bekräftigt.

Luis Carlos ist seit 50 Jahren Fischer. Den Beruf hat er im neunten Lebensjahr von seinem Großvater gelernt, der auch Fischer an der Bucht von Sepetiba war. Luis Carlos ist wegen früher Kinderlähmung Rollstuhlfahrer – und er ist Fischer aus Leidenschaft. Doch Fischen kann er nun nicht mehr. Sein Boot liegt verlassen, ebenso ist sein Haus verwaist. „Ich war der Erste, der den Protest der Fischer gegen das Stahlwerk von ThyssenKrupp initiiert hat“, berichtet Luis Carlos den Lateinamerika Nachrichten im Interview und ergänzt : „Es fing 2007 an.“

Seit September 2006 baut ThyssenKrupp zusammen mit dem brasilianischen Bergbaukonzern Vale an einem Stahlwerkkomplex im Bundesstaat Rio de Janeiro. ThyssenKrupp hält mit 73 Prozent die Mehrheit an der Companhia Siderúrgica do Atlântico (CSA) in der Bucht von Sepetiba. In den Medien ist die Rede von der größten deutschen Auslandsinvestition in Brasilien der letzten Jahre – bis zu 4,7 Milliarden Euro werden in das Projekt investiert. Der gesamte Komplex setzt sich zusammen aus einem integrierten Stahlwerk mit einer Jahresproduktionskapazität von anfänglich 5,5 Millionen, später ausbaubar auf bis zu zehn Millionen Tonnen Brammen (Brammen sind große Stahlblöcke, die als Werkstoffe für die Weiterverarbeitung dienen, Anm. d. Red.). Das angegliederte Wärmekraftwerk mit einer Kapazität zur Erzeugung von 490 Megawatt Strom wird mit vier Millionen Tonnen Steinkohle aus Kolumbien gespeist. Und der Hafen des Komplexes besteht aus zwei Terminals und einer Brücke von vier Kilometern Länge und einem Pier von 700 Meter Länge, die den Mangrovenwald und die Bucht durchqueren. 60 Prozent der Brammen sollen nach Alabama und 40 Prozent nach Deutschland exportiert werden.

Als die Fischer von dem Projekt hörten, wollten sie mit ThyssenKrupp darüber reden. Doch sie wurden nicht zum Gespräch geladen. Dann verschlechterte sich die Wasserqualität durch die Aushebungsarbeiten massiv, Fische starben, die Fischerträge gingen rapide zurück. Doch das ist nicht alles. Die Liste der Vorwürfe, die die Fischer im Rahmen ihres nunmehr zweijährigen Kampfes gegen CSA erheben, ist lang : Umweltverstöße, Verseuchung der Bucht, Bau in einem Naturschutzgebiet, illegale Rodung von Mangrovenwäldern sowie Umgehung von behördlich angeordneten Baustopps (siehe LN 408). Hinzu kommen Verletzungen von Arbeitsbestimmungen, die Privatisierung von 20 Quadratkilometern öffentlicher Gewässer der Bucht und eine Zunahme der Kohlendioxidemissionen der Stadt Rio de Janeiro um 76 Prozent – allein durch das Stahlwerk. Und es gibt den Vorwurf, dass die von der Firma angeheuerten Sicherheitskräfte mutmaßlich berüchtigten lokalen Milizen angehören sollen.

Die Region, in der das Unternehmen baut, ist bekannt als Gebiet, in dem eine der gefährlichsten Milizen Rio de Janeiros agiert. Verschwundene und Morde sind dort alltäglich. In einem solchen Umfeld verschiedenster krimineller Interessen und Machträume ist die Artikulation von Widerstand derjenigen, die gegen den Bau des Stahlwerkes protestieren, äußerst schwierig.

„Es war nach unserem ersten Protest. Wir hatten uns am Rande des Kanals zur Besprechung versammelt. Da kam jemand auf mich zu und hat mir gedroht und gesagt : « Pass‘ auf, Alter ! Diese Firma ist sehr mächtig ! »“, berichtet Luis Carlos den LN. Aber dadurch habe er sich nicht einschüchtern lassen. „Und wir haben trotz der Drohungen weiter gemacht“. Mit 42 Fischerbooten haben sie 2008 ein Industrieschiff umzingelt, das mit Aushebungsarbeiten für den Hafenzugang beschäftigt war, und so die Bauarbeiten für mehrere Stunden unterbrochen. Erst dann erklärte sich ein Verantwortlicher der CSA zu Gesprächen bereit. „Am Nachmittag um vier kam dann jemand Hohes von der Firma – er wurde mit einem Hubschrauber zu uns geflogen“, berichtet Luis Carlos. Danach kam es zu einem Treffen mit VertreterInnen der Firma. „Aber was sie uns zeigten, war ein Video über das tolle, neue Stahlwerk – und wie schön alles werden würde“, so Luis Carlos. So haben die Fischer das Treffen aus Protest sofort abgebrochen.

Seitdem nahmen die Bedrohungen zu. Luis Carlos erhielt des Nachts anonyme Telefonanrufe. Vermummte und bewaffnete Männer stiegen in seinen Vorgarten ein und zeigten sich demonstrativ vor seinem Fenster. Die Drohungen nahmen zu – bis zu dem Tag, an dem Luis Carlos mit der Waffe bedroht wurde und den Bundesstaat fluchtartig verlassen musste. Denn am 6. Februar 2009 um 11 Uhr Vormittags erhielt er die letzte Warnung : Er befand sich gerade mit anderen Fischern auf der Straße, als ein Luxuswagen neben ihnen anhielt. Die getönten Scheiben des Wagens wurden heruntergelassen – und die Insassen des Autos zeigten dem am Straßenrand haltenden Fischer Luis Carlos demonstrativ eine Waffe. In den Gegenden in Rio de Janeiro, in denen die Milizenmafias herrschen (siehe LN 425) ist dieses Zeichen unmissverständlich : „Du wirst sterben.“ „Um 16 Uhr am gleichen Nachmittag habe ich den Bundesstaat Rio de Janeiro verlassen“, erzählt Luis Carlos den LN im Interview. AnwältInnen und FreundInnen hätten ihm geholfen, so schnell wie möglich an unbekanntem Orte in Sicherheit zu gelangen. Seither musste Luis Carlos in vier verschiedenen Bundesstaaten leben, ohne jeden Kontakt zu seiner Familie. Seit März dieses Jahres wird Luis Carlos von der brasilianischen Bundespolizei geschützt – sein Aufenthaltsort ist nur den MitarbeiterInnen des Bundesprogramms zum Schutz für Menschenrechtsverteidiger bekannt. Am 19. März dieses Jahres hatte die Menschenrechtskommission des Abgeordnetenhauses von Rio (ALERJ) zu dem Fall eine öffentliche Anhörung abgehalten. Sie gingen den Vorwürfen der Fischer nach, dass die Sicherheitskräfte des ThyssenKrupp-Unternehmens CSA auch lokale Milizen angehörten.

Auf der Anhörung wurde ein Foto von Roberto Barroso gezeigt. Dieser sei stadtbekannter Milizionär, sagten die auf der Anhörung anwesenden Fischer, wie dem Protokoll der Anhörung in der ALERJ zu entnehmen ist, das LN vorliegt. Und Luis Carlos identifizierte in Barroso den Mann, der ihm am Rande des Kanals gedroht hatte. Brisant dabei : Barroso ist der oberste Sicherheitschef des Werkschutzes des ThyssenKrupp-Unternehmens CSA. Dies bestätigte der Anwalt der CSA : „In der Tat, dieser Herr heißt Roberto Barroso, er wurde 2005 als Supervisor des Werkschutzes eingestellt“, so der Anwalt der CSA auf der Anhörung am 19. März. Von 2005 an war er über das Subunternehmen Protege als Chef des gesamten Werkschutzes der CSA tätig, seit Dezember 2008 übt er die gleiche Funktion aus, nur : „Heute ist er direkt bei uns angestellt“, so der Anwalt der CSA auf der parlamentarischen Anhörung.

Auf der Anhörung zeigten sich die Rechtsvertreter der CSA ebenso wie der anwesende deutsche Vizekonsul bestürzt. CSA suspendierte daraufhin den Sicherheitschef und versprach, den Vorwürfen nachzugehen. Ergebnis : nach 30 Tagen wurde die Suspendierung aufgehoben, weil sich – so CSA – in keiner Akte über Barroso diesbezügliche Hinweise fanden, und der Sicherheitschef bestritt, Milizionär zu sein und dem Fischer gedroht zu haben. Somit stand für CSA Aussage gegen Aussage. Doch während der Sicherheitschef weiter im Dienste der CSA steht, musste der betroffene Fischer, Luis Carlos, ins Menschenrechtsschutzprogramm der brasilianischen Bundesregierung aufgenommen werden, um sein Leben zu schützen. Der Redaktion der LN liegt das Dokument vor, ausgestellt vom Menschenrechtssekretariat der brasilianischen Bundesregierung, das dem Fischer Luis Carlos die Aufnahme in das Menschenrechtsschutzprogramm der brasilianischen Bundesregierung bescheinigt, da er „Morddrohungen von Polizisten (Zivil- und Militärpolizisten) und von Milizionären“ erhalten hat, so das Dokument. In dem Dokument heißt es in Bezug auf die Milizionäre wörtlich weiter : „Milizionäre, die mutmaßlich angestellt sind für den Werkschutz der Gruppe ThyssenKrupp, die gemeinsam mit Vale do Rio Doce verantwortlich ist für den Bau des Stahlwerks CSA“. Das Sekretariat für Menschenrechte der Bundesregierung geht demnach davon aus, dass der Werkschutz der TKCSA „mutmaßlich“ aus Milizionären besteht. Auch wenn es bislang keine juristische Verurteilung der Milizionäre gibt, so sieht doch das Menschenrechtssekretariat den Fall als so ernst an, dass sie Luis Carlos ins Menschenrechtsschutzprogramm aufgenommen und an unbekanntem Ort unter Schutz gestellt hat. Dies gebietet das Prinzip der Vorsorge, nimmt man die Besorgnisse um die Sicherheit und körperliche Unversehrtheit der Fischer Ernst.

Luis Carlos muss getrennt von seiner Familie und seinen Freunden leben. Kann seinen Beruf nicht mehr ausüben. Und muss alle paar Monate den Bundesstaat wechseln – zu groß ist die Gefahr, dass die Mafiamilizien herausfinden, wo er lebt. Luis Carlos wurde zugetragen, dass sie in Sepetiba und Rio herumfragen, „ob wer den Alten im Rollstuhl“ gesehen habe.

Luis Carlos will dennoch den Kampf nicht aufgeben. Er will, dass ThyssenKrupp Verantwortung übernimmt : „Wir wollen, dass ThyssenKrupp die Umwelt- und sozialen Schäden repariert. Wir wollen Ersatz und Entschädigung. Wir wollen wieder Fischen können. Wir wollen, dass ThyssenKrupp in Brasilien nach den gleichen ökologischen, technischen und sozialen Standards wie in Deutschland arbeitet“, fordert Luis Carlos. Deshalb war er im November in Europa, um seinen Kampf hierher zu tragen. Er sprach vor dem Europäischen Parlament, dem Bundestag und mit GewerkschaftlerInnen in Duisburg, die bei ThyssenKrupp angestellt sind. Und er betont : „Wir wollen Sicherheit für uns und unsere Familien !“

Text : // Ana Malavazi und Christian Russau

in : Lateinamerika Nachrichten, Nummer 427 - Januar 2010



 
     
     
     
     
 
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